Weltkarte der Kulturen
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[sǫ’] – Stern – Südliche Dene

„Über und unter mir schwebt Schönes“

Aus einem Nachtgesang der Navajo

Navajo – Donner + Blitz

Im amerikanischen Südwesten – im nördlichen New Mexiko, südlichen Utah und in Arizona – leben die Südlichen Dene, zu denen Volksgruppen wie die Navajo und Apachen zählen. Mit über 300.000 Menschen bilden die Navajo nach den Cherokee den stärksten Verband von ‚Ersten Völkern‘ in den USA. In ihrer Sprache nennen sie sich „Diné“ (‚Das Volk‘); der Begriff „Navajo“ geht auf ein dummes Missverständnis der Spanier zurück: denn die benachbarten Pueblo nannten nicht sie, sondern ein Feld bei einer Schlucht ‚Navahu‘.

Den Wanderungen der Bisons auf den Great Plains südwärts folgend, hatte eine Volksgruppe von Nördlichen Dene um 1450 den Norden Arizonas erreicht, von wo sie sich langsam ausbreiteten. Die Verwandtschaft mit der alten arktischen Stammkultur zeigt sich nicht nur sprachlich, sondern auch kulturell in ihrem Sternenhimmel. Was in Alaska die Großkonstellation des „Sich Über Uns Bewegenden“ Tiermenschen gewesen war und sich am kanadischen Great Slave Lake auf ein Paar von Mann und Frau verkleinert hatte, findet sich hier nun als die beiden ‚Kreisenden‘ wieder, die den Ersten Mann und die Erste Frau der Welt verkörpern. Die für den Tiermenschen der Nördlichen Dene charakteristische weltenwandelnde Fahrt um die Erde wird bei den Navajo nunmehr Heldenzwillingen – Monstertöter und Dem Wasser Geborener – zugeschrieben.

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Der Kreisende / Die Kreisende

Zur Funktion der Sterne heißt es in einem Schöpfungsmythos der Navajo: „Als alle Sterne bereit waren, in den Himmel versetzt zu werden, sagte Erste Frau: ‚Ich werde sie benutzen, um die Gesetze aufzuzeichnen, welche die Menschheit für alle Zeiten regieren werden.’“ Die Sternbilder werden damit, anders als bei den Tuareg oder Eskimo, als Zeichen aufgefasst – Erinnerungs- und Mahnbilder – welche die ersten Menschen für ihre Nachfahren am Himmel hinterließen.

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Der Monstertöter / Dem Wasser Geborener

Da Handel, Krieg und Migrationen die Menschen schon in der Frühzeit von Asien nach Amerika führten, lassen sich einige Sternbilder der Navajo bis nach Südasien zurückverfolgen. So überlagert beispielsweise das Sternbild der Fliege Dontso den über die Welt wachenden ‚Breitbeinigen‘ in Corvus: Als neugieriger Bote und kluger, oft unberechenbarer Helfer von Monstertöter weist diese Figur von ihrer Gestalt und Rolle her unübersehbare Gemeinsamkeiten mit den Darstellungen und Erzählungen buddhistischer Botenhelfer namens ‚DGra-lha‘ (‚Feindgötter‘) auf.

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Der Breitbeinige (Alte) Mann

Auch der als riesiger Vogel dargestellte Donner legt sich teilweise über andere Sternbilder des Nachthimmels der Navajo. Seine nächste Entsprechung findet er bei dem in Indien und Südostasien verbreiteten Donnervogel Garuda. Ebenso augenfällig sind die Parallelen zwischen den schützenden Emblemen der in Tibet zentralen Mandalas und den astralen Sandmalereien der Navajo. Werden dort etwa vier Wolken abgebildet, die zu den vier urweltlichen Meeren in den vier Himmelsrichtungen abrinnen, liegen diese vier Wolken bei den Navajo an den Beinen des Großen Donnervogels und stehen dort ebenfalls für den Anfang der Schöpfung. Mandala wie Sandmalerei weisen dieselbe Geometrie der Form und Symbolik der Farben auf und dienen ähnlich rituell heilenden Zwecken.

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Der Donner

Der Donner der Navajo ist das wohl weltweit größte Sternbild. Es reicht einmal rund um den gesamten Himmel: Somit wird in jedem der zwölf Monate des Jahres jeweils ein weiteres Stück von ihm sichtbar, während ein anderes wieder hinter dem Horizont verschwindet. Die sechs Sterne seiner überlangen Kopffeder markieren die sechs Wintermonate; die sechs Sommermonate zeigen sich am Rest seines Körpers und der Schwanzfeder, mit der er den Donner auslöst.

Der Kalender der Navajo setzt nach der Erntezeit mit der im Okotober beginnenden Jagdsaison ein, wobei dieser erste Monat traditionellerweise ‚Teilung der Jahreszeiten‘ heißt. Der zweite Monat („Schmale Winde“) der ersten Jahreshälfte „Hai“ (‚Winter‘) wird durch den zweiten Federstern des Donners markiert, der dritte („Großer Wind“) durch den dritten, der vierte („Verkrusteter Schnee“) durch den vierten, der fünfte („Adlerküken“) durch den fünften und der sechste Monat („Schrei der Kleinen Adler“), unser März, durch den sechsten Federstern.

Im ersten Monat („Kleine Blätter“) der im April beginnenden zweiten Jahreshälfte „Shį“ (‚Sommer‘) wird dann der Kopf des Donnervogels sichtbar. Seine Schwanzfeder reicht über Mai („Große Blätter“), Juni („Wenn wenig Samen reifen“), Juli („Großes Samenreifen“) und August („Kleines Ernten“) bis ans Jahresende im September („Großes Ernten“).

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Der Blitzstrahl

Der Name des Sternbilds „Jhil Gish“ gibt lautmalerisch den Blitzstrahl wieder, der den gesamten Himmel erhellt, während der Donner über ihn hinwegrollt. Der ‚Blitzstrahl‘ schließt dabei an die Donnerfeder an und besitzt wie alle Sternbilder der Südlichen Dene einen ‚Entzünder‘, der sich in dem Fall im rötlich leuchtenden Stern γ Andromedae findet.

Gemeint damit sind Einzelsterne, die umliegende Sternbilder – die von den ersten (Tier-)Menschen als Quarzkristalle, Edelsteine und weiße Kiesel in den Himmel geworfen wurden – nachts, gleich Lagerfeuern, Stern für Stern zum Leuchten bringen.

Sonne, Mond und Planeten bei den Navajo

Bei den Südlichen Dene gelten Sonne und Mond als mächtige Wesen; Sonne wurde als Junge mit einem riesigen Türkis als Lichtobjekt in den Himmel gehoben, wo er sich zu einem strengen, verheirateten Mann ausgewachsen hat, während die Trägerin des Mondes sich seither um Belange des weiblichen Körpers kümmert. Traditionsgemäß spielen die Planeten auch bei diesen abgewanderten Dene keine Rolle.

Literatur

Berard Haile, Starlore among the Navaho, Santa Fe 1977.

Joseph Wilson, The Union of Two Worlds: Reconstructing Elements of Proto-Athabascan Folklore and Religion. In: Folklore 127.1, 2016. Postscript to the Union of Two Worlds. In: Folklore 129.1, 2018.