Sternennächte

Andreas Blühm

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Donato Creti (1671-1749), Astronomical Observations, 1711, oil on canvas, each 51 x 35 cm, Rome, Pinacoteca Vaticana

Der Klerus, der sich lange gegen neue astronomische Funde und deren Verbreitung in Wort und Bild gewehrt hatte, kam allmählich zu der Überzeugung, dass man sich die moderne Wissenschaft lieber zunutze machen sollte als sie zu bekämpfen. So ungewöhnlich war die Verbindung von Kirche und Sternenkunde nicht, schließlich war auch Kopernikus schon Kleriker gewesen. 1711 schenkte ein Bologneser Graf, der polyglotte Wissenschaftler Luigi Marsili, Papst Clemens XI. eine Serie kleiner Gemälde mit genrehaften Darstellungen von Beobachtungen der bekannten Planeten: Sonne, Mond, Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn und zudem einen Kometen. (Uranus und Neptun wurden erst später als Teile des Sonnensystems identifiziert.) Marsili erhoffte sich dadurch Unterstützung für ein öffentliches Observatorium in seiner Heimatstadt. Donato Cretis Tafeln wurden akzeptiert und fanden Verwendung im Mobiliar der vatikanischen Pinakothek.

Erst mit dem Beginn der Industrialisierung und dem damit einhergehenden Glauben an eine machbare Welt – und weniger an eine gemachte Welt – löste sich die Wissenschaft von den religiösen Institutionen., musste also nicht länger eine göttliche Schöpfung hinter allen erst unerklärlichen und dann erklärlichen Phänomenen suchen. Die mechanistische Sicht auf das All repräsentiert kein Maler besser als der Engländer Joseph Wright of Derby. Nicht nur die Astronomie, sondern alle Wissenschaften schienen ihn brennend zu interessieren und zu ehrgeizigen Kompositionen zu inspirieren. Als Mitglied der Lunar Society verkehrte er in den Kreisen illustrer Naturforscher, revolutionärer Denker, Erfinder und Industrieller in den Midlands: Erasmus Darwin, Joseph Priestley, James Watt und Josiah Wedgwood, um nur ein paar zu nennen. Nächtliche Szenen gibt es von Wright eine Vielzahl. Hier soll, ähnlich Baschenis‘ Himmelsglobus in einem Stilleben, ein Tischplanetarium ins Zentrum gerückt werden.

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Joseph Wright of Derby (1734-1797), A Philosopher Lecturing on the Orrery, 1764-66, oil on canvas, 147 x 203 cm, Derby Museum & Art Gallery

England war nicht nur das Land der Industrialisierung, sondern beherbergte auch viele der besten Uhrmacher und Instrumentenbauer, eine wichtige Branche für die Inselnation im Zeitalter der Kolonisierungen. Ein orrery ist die „Hauptperson“ in Wrights Meisterwerk Ein Philosoph gibt eine Vorlesung am Tischplanetarium von 1764-66. Der Philosoph („lecturer“) ist vermutlich John Whitehurst, einer jeder Instrumentenbauer, der auch aus Derby stammte und ebenfalls Mitglied der Lunar Society war.

Gibt es bei Wright noch religiöse Anspielungen, Versuche der Versöhnung von Kunst, Wissenschaft und Glauben? Wrights Kompositionen und Lichteffekte sind der barocken Malerei verpflichtet. Wenn er eine Schmiede, ein Experiment oder eben ein Tischplanetarium effektvoll beleuchtet ins Zentrum der Aufmerksamkeit stellte, konnten die zeitgenössischen Betrachter erahnen, dass üblicherweise an dieser Stelle ein Christuskind in der Krippe lag und darin Anspielungen auf christliche Ikonographie erkennen. Gebildete konnten in Wrights Bildern das Erbe Caravaggios, der Caravaggisten und Rembrandts ausmachen. War das Absicht oder nur künstlerische Konvention? Meine Vermutung ist, dass der Maler durch seine Kompositionen, die im Druck vervielfältigt wurden, denselben pädagogischen Impetus hatte , den der dargestellte vorlesende Philosoph verfolgte. Die Aufklärung beschränkt sich nicht mehr auf die gelehrte Debatte unter Experten, sondern will vermitteln und predigen, ganz ohne Kirche.

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Caspar David Friedrich (1774-1840), Two Men Contemplating the Moon, 1819, oil on canvas, 35 × 44 cm, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Galerie Neue Meister

Wir springen erneut um ein halbes Jahrhundert. Im Werk Caspar David Friedrichs sind der Glaube und das Erbe der Aufklärung unauflöslich miteinander verbunden. Die Bilder der Natur, die der Greifswalder von Rügen bis ins Riesengebirge schuf, verbinden die wissenschaftlich präzise Beobachtung der natürlichen Erscheinungen mit einer diffusen, aber im Protestantismus eingebetteten Weltanschauung, nach der alles göttlich sei. Nachthimmel und Monde gibt es im Werk Caspar David Friedrichs viele. Auffallend ist die Abwesenheit der Sterne.

Friedrichs Lebenszeit umfasste noch die Erfindung der Fotografie. Konnte er davon Notiz nehmen? Wie bei Adam Elsheimer stellt sich die Frage nach der Verbindung von Erfindung und Interesse, nun in Bezug auf die mechanische Reproduzierbarheit optischer Wahrnehmung. Was die Fotografie betrifft, so waren die Techniken lange schon bekannt, bevor in den 1830er Jahren an mehreren Orten zugleich die Verbindung von Camera Obscura und lichtempfindlichen Lösungen erfunden bzw. gefunden und publiziert wurden.

Als das Teleskop seinen Siegeszug durch Europa und die Welt begann, gab es noch keine geschützten Patente. Im Falle der Fotografie war das immerhin schon ein Thema. François Arago, Direktor der Pariser Sternwarte, hielt am 9. Januar 1839 vor der Assemblée Nationale eine Rede, um für die Freigabe der Patente von Louis Jacques Mandé Daguerre (1787–1851) und Joseph Nicéphore Nièpce (1765–1833) zu plädieren. Als einen der großen Vorteile der neuen Technik nannte er ihren Nutzen für die Astronomie. Das Parlament stimmte zu und ermöglichte Daguerre und dem Sohn von Nièpce, Isidor, eine lebenslange Rente. Ein Jahr später starb Caspar David Friedrich.

Paragone der Lichter

Sonne und Mond waren die ersten Himmelskörper, auf die sich nach den Linsen der Teleskope nun auch die der Kameras richteten. Das lag natürlich an deren Nähe und Lichtstärke. Der erste entferntere Stern, der fotografisch festgehalten werden konnte, war Mitte des 19. Jahrhunderts die Wega, einer der hellsten im nächtlichen Himmel.

Es wurde spannend: Astronomen wetteiferten um neue Entdeckungen. Die Spektroskopie, deren Ursprünge auf 1813 zurückgehen, und später die Spektralfotografie sorgten für aufregende neue Erkenntnisse. Das Publikum staunte über alle Neuigkeiten, nicht nur innerhalb der Sternenkunde. Geologische Funde, psychologische Theorien, Atomphysik und die Evolutionslehre brachten eine liebgewonnene Denkgewohnheit nach der anderen ins Wanken. Weltausstellungen präsentierten Entdeckungen und Erfindungen vor Hunderttausenden von Menschen, die Rotationspresse publizierte das neue Wissen und machte es auch für Laien verständlich.

Je größer das Wissen und je deutlicher die fotografischen Himmelsbilder wurden, desto freier und individueller gingen die Künstler damit um. Nicht nur die Wissenschaft war ihr Konkurrent, sondern auch die moderne Technik. Das aufkommende Kunstlicht hatte einen nicht zu unterschätzenden Effekt auf die Wahrnehmung von Stadtleben und Natur. Die „Lichtverschmutzung“ durch Straßenlaternen, Schaufenster und Leuchttürme ist kein modernes Phänomen, sondern begann bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Maler betrachteten das Himmelsgewölbe mit anderen Augen, als Mond und Sterne nicht mehr die einzige Lichtquelle bei Nacht waren.

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Paul Gauguin (1848-1903), Vaugirard Church, 1879, oil on canvas, 50 x 34.5 cm, Groninger Museum, The Netherlands

Das „Geistige in der Kunst“ sollte zwar noch bis Kandinsky und das Jahr 1912 warten, aber der Streit um die Rolle der Malerei – entweder als Spiegel des Gesehenen oder des Gedachten – entbrannte schon in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts auf das Heftigste. Bei Vincent van Gogh und Paul Gauguin führte das zu intensiven Wortwechseln. Dabei hatte Gauguin auch als Impressionist begonnen. Dieses wenig bekannte und bescheidene Bild einer Vorstadt von Paris von 1879 zeigt, wo er herkam. Aber in die nüchterne Szene kann eine ganz neue Geisteshaltung hineininterpretiert werden. Im Zentrum steht die Gaslaterne als Stellvertreterin für die moderne Zeit. Dahinter die silhouettenhafte Kirche, verschattet und im Hintergrund. Gauguin hing im Gegensatz zu Van Gogh einer geistigen Auffassung von Malerei nach. Das Nicht-Sichtbare interessierte ihn mindestens so stark wie das Sichtbare. Sterne sind bei Gauguin hingegen nicht zu sehen. Die Lichtstadt Paris war schon zu hell geworden.

Van Gogh schaffte es immerhin, mehr als nur den Mond in seine Nachthimmel zu malen. Zwei Gemälde sind als Sternennächte bekannt. In der Sternennacht über der Rhône von 1888 spaziert ein verliebtes Paar am Flussufer entlang, darüber die Sterne, die sich im Wasser spiegeln. In Arles, am gegenüberliegenden Flussufer, werden die Sterne von einer Reihe Gaslaternen überstrahlt. Der Wettbewerb der Lichter ist hier vielleicht eher als Vorzug denn als Nachteil der modernen Zeit dargestellt. Urbanität und Natur liegen im Süden Frankreichs, so Van Gogh, dicht beieinander.

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Vincent van Gogh (1853-1890), Sternennacht über der Rhône, 1888, Öl auf Leinwand, 72,5 x 92 cm, Musée d’Orsay, Paris

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Vincent van Gogh (1853-1890), Die Sternennacht, 1889, Öl auf Leinwand, 73 x 92 cm, Museum of Modern Art, New York

Ein dreiviertel Jahr später malte der Niederländer die berühmtere Sternennacht. Inzwischen hatte er Arles gezwungenermaßen verlassen müssen und war in der Anstalt in St-Rémy-de-Provence aufgenommen worden. Das dazwischenliegende Drama hat seine Spuren hinterlassen: In dieser Version des Nachthimmels haben die expressiven und wirbelnden Pinselstriche die Aufmerksamkeit der Betrachter und der Kunsthistoriker auf sich gezogen. Dieses – im Gegensatz zur Sternennacht über der Rhône – weniger realistische Bild passt besser in die Van-Gogh-Mythologie eines leidenschaftlichen, wenn nicht sogar obsessiven Charakters. Gemalt hat er es wahrscheinlich in seinem Zimmer in der Anstalt, aus der Erinnerung heraus und auf der Basis von Skizzen. Depression, religiöse Gefühle, die Suche nach den Farben der Nacht, alles hat ihn beschäftigt. Hat Van Gogh also – halb im Wahn – die neuesten astronomischen Kenntnisse internalisiert und ihnen eine moderne Gestalt gegeben? Oder hat er – bei vollem Verstand – ein Naturphänomen ganz individuell und von allen Konventionen frei interpretiert?

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